Shengren? Nein, danke!

Science Magazine führt eine „WASP-Wortschatzpolitik” Foto: Song Lipeng

Translated by Michèle Mialane

Edited by Fausto Giudice

Die US-amerikanische Zeitschrift Science Magazine lehnt jede chinesische Vokabel ab!

Gehört „Shengren“ nicht zur Wissenschaft,  was wird man in China als „Wissenschaft“ bezeichnen?
Der Shengren ist der grundlegendste Begriff der chinesischen Tradition. Doch hat der „Magazin für ‘Wissenschaft’“„nie davon gehört“, und sein Korrespondent für Asien in Beijing hat es höflich abgelehnt, auch nur ein einziges chinesisches Wort zu benutzen, oder gar davon zu reden. Offensichtlich führt der Science Magazine eine „WASP-Wortschatzpolitik“. Das heißt, dass fremde Vokabeln unmöglich zur Publikation gehören können. Insbesondere müssen Ausländer, die ihre Forschungen veröffentlichen wollen, europäische Terminologien und Taxonomien benutzen, wenn sie ihre Artikel einreichen.
Der akademische Imperialismus des Westens
Das haben wir schon mal erlebt. Im Westen wird die gefährliche Meinung gepflegt, „ dass es Wissen nur dann gibt, wenn es im Westen zu Hause ist.“ So was hat unberechenbare Folgen: insofern westliche Herausgeber solche Schlüsselbegriffe wie „Shengren“ in den „wissenschaftlichen“ Publikationen nicht aufnehmen, blockieren sie nicht nur den Zugang zur chinesischen Kultur, sondern vernichten auch ihren Ruf als „globale“ Herausgeber. Tatsächlich sieht die „Globalisierung“ einer Einbahnstraße ähnlich, auf welcher man nur vom Westen nach Osten fahren darf.
Ist meine Sprache Euer Gefängnis?
Als die Deutschen, die Nachfahren des Heiligen Römischen Reiches, nach China kamen, um dort das Evangelium zu predigen, hatten sie keine entsprechende Vokabel für den chinesischen Begriff „Shengren“,. Darum bemüht, China zu christianisieren, nannten die Deutschen die „Shengren“ „Heilige“ – biblische Heilige. Diese deutsche Fixierung auf das „Heilige“ wurzelt tief in der biblischen sowie folkloristischen germanischen Sprache, und jene Sprache wollten sie um jeden Preis auf die chinesische Kultur übertragen.
Deutungshoheit
Das nennen die Deutschen „Deutungshoheit“. Das heißt, dass der Westen über die Definition des Denkens souverän bestimmt.
Shengren kann nicht korrekt übersetzt werden
Ein Shengren ist das ranghöchste Mitglied in der auf Familienwerten basierten ostasiatischen Tradition und besitzt die höchsten sittlichen Standards – de genannt. Er wendet die Grundsätze ren, liyizhi und  xin an und ist das Band zwischen allen Personen, als ob sie – um eine Metapher zu gebrauchen – seine Familie wären. Wenn man die ostasiatischen Shengren als „Philosophen“, „Heilige“, oder mit anderen europäischen Vokabeln bezeichnet, begeht man also den größten historischen Irrtum, seit Kolumbus die „Indianer“ in Nordamerika entdeckt haben wollte.
Wenn man nun einen Blick auf das chinesische Original wirft, wird einem sofort klar, dass die Shengren im Konfuzianismus ebenso klar definiert als auch nicht-europäisch sind, wie die Buddhas im Buddhismus. Jedoch bleibt die europäische Öffentlichkeit weiterhin darüber unbelehrt. Wie es der Historiker Howard Zinn mal sagte: „Wenn in der Geschichte über etwas hingegangen wird, habt Ihr kein Mittel, davon zu erfahren.“
Unsere Schulen und Universitäten (und leider auch die „wissenschaftlichen“ Publikationen) predigen, dass es in ganz Asien „Philosophen“ und „Heilige“ gibt, und bei eingehender Betrachtung gibt es offenbar keinen einzigen „Buddha“, „Bodhisattva“ oder „Shengren“ in Europa. Denken Sie sich nur: wie hoch steht die Wahrscheinlichkeit, dass es einen gibt?
In den chinesischen Klassikern ist vom Wort „Philosoph“ keine Spur zu finden. Unsere westlichen selbsternannten „Sektionen für chinesische Philosophie“ sind Reminiszenzen aus der imperialen Zeit. In Wirklichkeit ist die chinesische Vokabel für „Philosoph“ – zhexuejia – erst 1874 über Japan – wo er „tetsugakusha“ ausgesprochen wird – in China eingetroffen.
Das Problem der westlichen „ Chinaforschungen“
Was ist bei den westlichen „ Chinaforschungen“ mit dem Prinzip des empirischen Beweises passiert? Der originelle Shengren ist stets da, liegt in den chinesischen Texten tief begraben, unter den westlichen Zwecksübersetzungen, die dem philosophisch-biblischen Fonds entnommen wurden.
Der westliche Brauch, andauernd mangelhafte Übersetzungen zu produzieren, mit dem ausschließlichen Zweck der Verherrlichung der eigenen Lebensweise und Glaubenskorpus – so ein egozentrischer Brauch verstößt gegen jeden modernen Begriff des „Schutzes des geistigen Eigentums.“ Die chinesische Kultur ist Opfer nicht nur des sprachlichen Imperialismus, sondern auch der westlichen „schlechten Wissenschaft“. Anstatt aber die fehlerhaften Übersetzungen zu verbessern, lassen die westlichen Medien und Akademiker sie weiter bestehen.
Ein China ohne Chinesisch?
Sind wir in Europa (1) zu einem kritischen Moment der Weltgeschichte angelangt, dass wir es als einen kulturellen Verrat ansehen, auch nur einen einzigen chinesischen Begriff beim echten Namen zu nennen? China ist ein äußerst „uneuropäisches“ Teil der Menschheit. Chinas Einwohner dürfen in die Geschichte des menschlichen Denkens mit eingeschlossen werden.
Nun sind die europäischen Sprachen nicht im Stande, chinesische – und andere ausländische – Schlüsselbegriffe wiederzugeben. Die beste Lösung wäre, sie gar nicht zu übersetzen, sondern sie in ihrer originellen Form zu übernehmen.
Die Menschheit schützen
Wie können wir unsere Kinder erziehen, ohne unsere Kulturen vor der Übersetzung zu schützen? Und wie können wir das Diktat der westlichen „Chinaforschung“ überwinden, das uns vorschreibt, die chinesische Kultur mittels europäischen biblisch-philosophischen Vokabeln zu übersetzen? Sagte doch Konfuzius:” Wenn die Vokabeln nicht passend sind, dann entspricht der Diskurs der Realität der Dinge nicht.” In Wirklichkeit aber zielen gewisse Menschen nur darauf hin, Eure eigenen Vokabeln auszumerzen.
This translation has been published by TLAXCALA International.